KulturPreis Europa in die Republik Moldawien -
BITEI wurde dem Anspruch der europäischen Auszeichnung gerecht

Zur 10. Ausgabe der BITEI-Festivalbiennale des Theater Eugène Ionesco ging der KulturPreis Europa 2012 nach Chisinau, Moldawien. Biennale und Festivaldirektor Petru Vutcarau wurden „als Kulturbotschafter und Mittler zwischen Ost und West“ für ihre Bemühungen um Toleranz, Akzeptanz und interkulturelle Verständigung ausgezeichnet. Eine wertvolle Schale aus Meissen®, Europas erstem Porzellan von 1710, wurde als äußeres Zeichen überreicht.


Foto: Ramin Mazur

Diese 10. Jubiläumsausgabe bedeutete zugleich Höhepunkt des 20jährigen Theaterschaffens von Ionesco Theater, Leitung und Mannschaft und zugleich auch den Wendepunkt in der Festivalhistorie in Moldawien. Aus der Biennale (BITEI) wird ab dem kommenden Jahr ein jährliches Festival (FITEI) mit europäischer und internationaler Beteiligung. In Chisinau haben mittlerweile sogar einige Politiker die Bedeutung einer Ost-West- Begegnungsstätte Moldawien, den positiven Image-Transfer nach Europa und darüber hinaus sowie die Notwendigkeit von Devisen bringendem Kultur-Tourismus begriffen. Kulturminister Boris Focsa sprach sich öffentlich für den Fortbestand eines derartigen Festivals aus, auch in Zeiten finanzieller Engpässe.

BITEI 2012 erwies sich in einigen Bereichen der europäischen Auszeichnung um interkulturelle Verständigung mehr als würdig, ein kleines Zeichen für die intellektuelle Richtung unabhängigen Theaterschaffens, ein großer und überaus mutiger Schritt vor dem tagespolitischen Hintergrund in der Republik Moldawien sowie den Nachbarn Russland und Ukraine.


Foto: Ramin Mazur

Den intellektuellen Reigen eröffnete das Roman Viktyuk Theater aus Moskau und liefert mit Oscar Wilde’s „Salomé“ eine brisante tödliche Parallele zwischen den Figuren Lord Alfred/Oscar Wilde und Salome/Jochanaan (wunderbar gespielt und choreographisch in Szene gesetzter androgyner Dmitry Bozin). Die Urfassung sorgte besonders im England des ausgehenden 19.Jahrhunderts für Skandal. Es wurde zensiert und zum Teil als Bearbeitung eines biblischen Stoffs auch verboten. Zudem wurde die Darstellung der sexuellen Begierde Salomés für untragbar gehalten. Und so ist die heutige Interpretation aus Moskau wieder im Fokus der Politik. Die Partei Putins hat jegliche, wie auch immer geartete „Werbung“ für sexuelle Minderheiten, unter Strafe gestellt.

Dem folgte das  Russische Theater, Berlin, mit „Geständnis einer Maske“ von Yukio Mishima auf dem Fuße. Bühnenfassung, Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme und Musikauswahl stammten von Inna Sokolova-Gordon. Sie hatte bei einem der letzten noch lebenden Schüler von Stanislavskij studiert. Diese Schule wurde bravourös von Schauspieler Andre Moshoi transferiert. (Er hat zusammen mit Festival- und Theaterchef Petru Vutcarau die Moskauer Schukin-Schauspielschule absolviert sowie längere Zeit unter seine Regie gearbeitet.) Auch der Poet Mishima gehört zur Riege der Außenseiter, die an der gängigen Gesellschaft zerbrochen sind. Der bekannte Vertreter der japanischen Nachkriegsliteratur begann in Tokio im Zentrum der militärischen Streitmacht Harakiri.

Das Kiew Modern Ballett spannte den kultur- und sozialpolitischen Bogen des Festivals mit einer Tschechow Adaption von "Krankenzimmer Nr. 6" weiter und in die Ukraine hinein. Hier erzählte das Handlungsballett wie zwei sich liebende Männer durch „die öffentliche“ Meinung zu Außenseiter und in den Tod getrieben werden. Wegen der neuen Gesetzgebung zur politisch gewollten Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten in Russland und den gleichen „mittelalterlichen“ Bestrebungen in der Ukraine, war auch diese Vorstellung von Choreograf Radu Poclitaru von besonderer kulturpolitischer Bedeutung. Übertroffen wurde dies noch durch den spektakulären Auftritt der italienischen Gruppe ricci/forte mit „Troja’s Discount“, die besonders im Sinne der geänderten Minderheitengesetze in Moldawien für Provokation auf der einen und Standing Ovations andererseits sorgte.


Foto: Lucia Puricelli

Die drei Theaterstücke Salomé, Geständnis einer Maske und Troja’s Discount zeichneten sich besonders dadurch aus, dass sie in großen Teilen von einem Choreographen in Szene gesetzt, die Grenzen zwischen Sprechtheater und Ballet fließend ineinander übergehen ließen.

Rumäniens zurzeit wohl am meisten beschäftigter Regisseur Radu Afrim, der 2009 zusammen mit dem Staatstheater Timisoara (TNT) den KulturPreis Europa erhielt, war in diesem Jahr zweimal vertreten. „Miriam W“ von Savyon Liebknecht zeigte eine selten mystische Seite des Regisseurs. In „Die Krankheit der Familie M.“ von Fausto Paravidino brillierte er mit dem TNT und begeisterte zu Recht, indem er dem italienischen Vorstadt-Milieu auf eine wunderbare Weise ein Podium gab und das Schicksal der Bewohner ans Herz aller Theaterbesucher legte, farbig emotional, unterhaltsam frivol und vor allem liebenswürdig. Ein echter Afrim also.

Auch Petru Vutcarau gab uns in diesem Jahr mit zwei Inszenierungen die Ehre. Er schwelgte in der lang erwarteten Eigenproduktion von Val Butnarus „Josef und seine Geliebte“ mit dem noch unbekannten Alexandru Dobinciuc in der schwierigen Titelrolle und einer wunderbar bösartigen Michaela Strambeanu, die mit jedem der häufigen Kleiderwechsel imposanter und gefährlicher wurde.  In seiner Matei Visniec Story „Pferde am Fenster“ aus Botosani, Rumänien, wurde die russische Schule einmal mehr offenbar. Der Schriftsteller war höchst selbst aus Paris angereist, um einer Buchvorstellung über ihn und seine Werke beizuwohnen. Daniela Magieru „hat meine vielen großen und kleinen Gedanken auf einmal zusammengetragen und Ordnung in mein Schreiben gebracht“, lobte er die rumänische Autorin für ihre langen und fundierten Recherchen. Er bekam dazu noch ein üppiges „Geschenk“ aus Georgien. Die Vertreter des KulturForum Europa hatten 2011 eine Vorstellung des Batumi Staatstheaters von „Engagement für einen Clown (Clown gesucht)“ gesehen, noch in der gleichen Nacht den Autor in Paris über die sensationelle Inszenierung informiert und der Biennale zur Präsentation geraten. Visniec wurde mit diesem Stück, das bei der Bonner Biennale gezeigt wurde, in Deutschland bekannt und erhielt 20 Jahre später eine der ausdrucksstärksten Vorstellungen zu sehen. Vor lauter Begeisterung gab es für das Publikum kein Halten mehr und dem Schriftsteller fehlten zuerst die Worte; er war zu Tränen gerührt.

Teilnehmer aus 15 Nationen, darunter das türkische Staatsschauspiel aus Istanbul, Produktionen aus Japan, Korea, Spanien, Tschechien, Israel und Azebaidschan waren mit teils großen Produktionen in das kleine Land gereist. „Für uns ist die Biennale jedes Mal ein Fest für den Verstand, die Augen und darüber hinaus für die Seele“, so wussten zahlreiche Zuschauer in Interviews und auf Facebook mitzuteilen. „Wir fühlen uns in Moldawien isoliert, erhalten nur schwer Auslandsvisa und bei diesem Festival ist plötzlich die Welt zu Gast bei uns“, hieß es weiter. „Wir können uns austauschen und eine geraume Zeit dem Alltag entfliehen, empfangen neue Impulse, fühlen neue Strömungen und nutzen die Chance, die Gedanken von Minderheiten mitteilen und austauschen“. Dass aus der Biennale ein jährliches Festival werden soll, hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, noch bevor es in den Tageszeitungen publiziert war. Auf Wiedersehen FITEI, Chisinau, Moldawien 2013.


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