Am Ufer des Zürich See findet seit über dreißig Jahren Mitte August das „Theater Spektakel“ statt. Das Neueste von der Schweizer Theaterszene und zahlreiche internationale Gastspiele  sind auf den Bühnen mit Tanz und zirzensischen Experimenten zu sehen. Dieses Jahr lag der Schwerpunkt auf Produktionen aus dem Weltsüden und aus Osteuropa. Bedauerlicherweise fehlten Teilnehmer aus Rumänien. In der Hoffnung, dies in Zukunft ändern zu können, habe ich das Festival besucht und möchte Künstler und Kulturtouristen aus Rumänien informieren und anregen, den Weg in die Schweiz zu finden. Die Metropole Zürich ist wegen ihres reichhaltigen Kulturangebots über das ganze Jahr eine Reise wert. Die Stadtmarketing informiert im Internet mehrsprachig bestens. (www.zuerich.com)

Das Festival-Programm

Die Programmleitung des Festivals lädt jährlich rund 25 bis 30 Gruppen oder Einzelkünstler aus der ganzen Welt ein, deren Arbeiten durch formale Eigenständigkeit, innovativen Charakter und künstlerische Ambition überzeugen. Ein Teil des Budgets steht für festivaleigene Produktionen oder Koproduktionen zur Verfügung. Dabei werden Projekte bevorzugt, die in einem engeren Zusammenhang mit dem Festival stehen. Die Geschichte des Zürcher Theater Spektakels ist geprägt von herausragenden Künstlerpersönlichkeiten und neu entdeckten Talenten aus dem Off-Theater-Bereich, die mit ihren eigenwilligen Produktionen für Aufsehen in der internationalen Theater-, Tanz- und Performanceszene sorgen. Die Spannweite umfasst die verschiedensten Ausdrucksformen und künstlerischen Handschriften und reicht von politisch engagierten Gruppen wie dem Market Theatre oder der Handspring Puppet Company aus Johannesburg über die expressiven Wüteriche La Fura dels Baus aus Barcelona und die Videotheaterpioniere Wooster Group aus New York bis zu stilbildenden Theatermachern wie Peter Brook, Robert Lepage oder Christoph Marthaler. Das israelische Akko Theater Zentrum war am Theater Spektakel ebenso zu Gast wie der japanische Choreograf Saburo Teshigawara, Les Ballets C. de la B. aus Belgien, die Socìetas Raffaello Sanzio aus Italien und die großen Regietalente aus Europas Osten, Eimuntas Nekrosius, Oskaras Korsunovas und Alvis Hermanis. In der jüngeren Vergangenheit waren es immer häufiger Produktionen im Schnittfeld verschiedener künstlerischer Ausdrucksformen – Neue Musik, Theater, Oper, Video, Tanz und Performance -, die für Höhepunkte im Programm sorgten: Neue Formen von Musiktheater wie sie etwa Guy Cassiers und der Shooting Star Wayne Traub aus Belgien, Liza Lim und das Elision Contemporary Music Ensemble aus Australien oder Ong Ken Seng aus Singapur pflegen; oder Arbeiten aus dem Bereich Video/Performance/bildende Kunst wie sie Marina Abramovic, Richard Forman, Michael Laub, Guillermo Gomez-Peña, Matthew Barney oder das australische Museum of Modern Oddities zeigten.

Der Förderpreis

Seit 1986 verleiht die Zürcher Kantonalbank jeweils im Rahmen des Festivals den mit ca. 25.000 Euro dotierten ZKB-Förderpreis sowie den ZKB-Anerkennungspreis von mehr als 4000 Euro. Die Leitung des Zürcher Theater Spektakels nominiert fünf Produktionen aus dem aktuellen Programm und beruft eine Fachjury ein. Diese ergibt den Preis jeweils am Samstag vor Festivalende. Unter den viel versprechenden Preisträgern waren neben dem deutschen Regisseur Stephan Pucher (1997), die Schweizer Theatergruppe 400asa (2000), die englische Choreografin Sarah Michelson (2002), das Living Dance Studio aus der Volksrepublik China (2004), die koreanisch-amerikanische Regisseurin Young Jean Lee mit ihrer Theatergruppe (2007) oder der französische Nouvelle Cirque Le Boustrophédon (2008).

Veranstalter und Partner

Kulturchef Peter Haerle

Das Zürcher Theater Spektakel ist eine Veranstaltung von Stadt Zürich Kultur und wird unterstützt von den verschiedenen Banken und einer Tageszeitung. Der Zürcher Kulturchef Peter Haerle investiert aus seinem Etat, der weit über 80 Millionen Euro beträgt, gezielt in die Kultur zur Integration von Minderheiten. Viele Auswanderer aus Rumänien und dem Kosovo leben in der Stadt, religiöse und sexuelle Minderheiten gilt es über die Schnittmenge Kultur untereinander und mit den Einheimischen in Verbindung zu bringen. Corine Mauch, bekennende lesbische Stadtpräsidentin, hält bewusst ihre schützende Hand über diese kulturpolitische Komponente und leistet so Gewaltiges für Zürich und Vorbildliches für andere europäische Großstädte. Seit 1. November 2007 liegt die künstlerische Verantwortung bei Sandro Lunin, der zusammen mit Cornelia Howald und Werner Hegglin das Festival leitet und im vorbenannten soziokulturellen Sinne einen künstlerischen Top-Level kreiert.

Festival-Highights 2012

Pichet Klunchun Dance Company mit „Schwarz-Weiß“ als ein Höhepunkt beim Zürcher Theaterspektakel

Bereits 2010 schlug der thailändische Choreograph das Zürcher Publikum mit seiner „Nijinsky“ Auseinandersetzung in den Bann. „Wie erfand Nijinsky 1910 in Paris für sich eine neue Persönlichkeit als Thai-Tänzer?“ hieß damals die Frage. Jetzt präsentierte der thailändische Choreograf Pichet Klunchun auf der Zürcher Seebühne seine neue Arbeit «Black and White», ein überaus langsames und leises Tanzkunstwerk für ein zeitgenössisches Ballett. „Gut und Böse, Mann und Frau, laut und leise, Khon-Tanz und zeitgenössisches Ballett – schwarz und weiß eben – ringen gegeneinander oder auch umeinander“, sagte mit der Tänzer, Choreograph und Meister des thailändischen Khon-Tanzes anschließend im persönlichen Gespräch. Als Erster überhaupt arbeitet Klunchun mit seiner jungen LifeWork Dance Company aus Bangkok an der Transformation des traditionellen, ursprünglich höfischen Khon-Tanzes in eine globale Bewegungssprache, was ihm in Europa zu starkem Ansehen und im traditionellen Thailand zu vehementer Ablehnung verhalf.

Pichet Klunchun Dance Company, BLACK AND WHITE, (Foto Weerana Talodsuk)

Körperliche und erotische Intensität, Präzision, Elemente des Schattenspiels, der Klangteppich der chinesischen Guqin-Virtuosin Wu Na und die magische Lichtführung des japanischen Designers Miura Asako machten diesen Abend zu einer eindringlichen Begegnung mit zeitgenössischem asiatischem Kunstschaffen. Das Zürcher Theaterspektakel gönnte sich diesen Höhepunkt zum 33. Geburtstag.

Jérôme Bel & Theater Hora und das Disabled Theater aus Frankreich

DISABLED THEATRE, Foto: Michael Bause

Die Arbeiten des französischen Tänzers und Choreografen Jérôme Bel haben etwas Provozierendes. Konsequent unterläuft er die traditionellen Vorstellungen von Tanz. Ihm geht es nicht um Schönheit, Perfektion und Virtuosität, sondern allein um die Präsenz von Menschen auf der Bühne. Wie funktioniert Theater? Das ist die Frage, die Bel umtreibt, von diesem Interesse ist auch seine Arbeit mit den geistig behinderten Schauspielerinnen und Schauspielern des professionellen Zürcher Theaters Hora geleitet. «Disabled Theater» ist der Bericht über das erste Zusammentreffen zwischen dem Regisseur und den Performern, eine Art Doku-Theater, das die außergewöhnlichen Fähigkeiten dieser Darstellerinnen und Darsteller zeigt ? und die Not des Publikums.

Laurence Yadi, Nicolas Cantillon & Compagnie 7273 auf Genf/Schweiz

Wo immer die 2003 gegründete Genfer Compagnie 7273 auftritt, ob in Bern, Johannesburg oder New York, das Publikum ist begeistert. Für ihren jüngsten Wurf «Nil» ? bereits ihre zehnte Eigenproduktion ? wurde die Compagnie um das junge Choreografen- und Tänzerpaar Nicolas Cantillon und Laurence Yadi mit dem Schweizer Tanz- & Choreografiepreis 2011 ausgezeichnet. Aufgebaut auf einem klar umrissenen, reduzierten Bewegungsvokabular, das vor allem aus runden, weichen Bewegungen besteht, und getanzt mit einer unangestrengt wirkenden, harmonisch fließenden Präzision, verschmilzt diese Hommage an den Nil mit der eigens komponierten, orientalisch angehauchten Musik des amerikanischen Gitarristen Sir Richard Bishop zu einem Gesamtwerk von sinnesbetörender Schönheit und entwickelt einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

DançaRio, Interrogations and Ellipsis, Rio de Janeiro

Der Tänzer Gilson Cruz war längere Zeit Mitglied der Companhia de Rua des brasilianischen Choreografen Bruno Beltraõ, der den Street Dance in neue Dimensionen fu?hrte und weltweit mit u?berwältigendem Erfolg die Kreationen «H2» und «H3» zeigte. Nun hat Gilson Cruz in Rio de Janeiro seine eigene Gruppe gegru?ndet und ist daran, solo und gemeinsam mit seinem Kollegen Hugo de Oliveira auf der Basis von Hip-Hop- und Street-Dance-Elementen eine komplexe, ausdrucksstarke Bewegungssprache zu entwickeln. Bewusst u?berschreiten sie dabei die Grenzen der Street Art und suchen Inspiration im Expressionismus und in der abstrakten Kunst. Eine erste Kostprobe präsentieren die beiden experimentierfreudigen Tänzer nun im Rahmen der Short Pieces.

Deutschland, Ungarn, Slowakei, Tschechien mit Constanza Macras und DorkyPark „Open for Everything“

Constanza Macras und DorkyPark „Open for Everything“ Foto: Christian Altorfer

Zum ersten Mal ist in der Schweiz ein Werk der in Berlin lebenden argentinischen Choreografin Constanza Macras zu sehen. Nach intensiven Recherchen in Roma-Gemeinden in der Slowakei, in Tschechien und Ungarn hat sie eine 19-köpfige Truppe aus SängerInnen und TänzerInnen, Profis und Amateuren zusammengestellt, die nun gemeinsam mit Mitgliedern ihrer Kompanie DorkyPark und unterstützt von einer Live-Band die Bühne entern und von ihrem Leben als Roma erzählen. Macras, die bereits mehrmals erfolgreich mit Laien arbeitete, bewegt sich souverän auf dem mit Vorurteilen verstellten Gelände. Sie setzt weder auf Mitleidstheater noch auf den Ethnobonus. Entstanden ist ein starkes Stück, das berührend, aber nicht sentimental, mitreißend, aber nicht plakativ von den Lebensbedingungen der Roma berichtet und von ihrer Suche nach einer Identität zwischen Tradition und Klischee, zwischen Vermarktung und Verfolgung.

Ägypten und Belgien mit Laila Soliman & Ruud Gielens „Liebesbrief / No Time for Art“

Kein Tag, an dem Ägypten nicht in den Medien steht: Auflösung des Parlaments, Wahlen, die Verurteilung von Mubarak, sein klinischer Tod, der Machtausbau des Militärs. Die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse in Ägypten sind turbulent, schockierend, brutal und verwirrend. Keine Zeit für Kunst? Die junge unabhängige Kairoer Regisseurin Laila Soliman und der belgische Theaterschaffende Ruud Gielens stellen sich die Frage fast täglich. Vergangenes Jahr sorgte ihre Produktion «Lessons in Revolting », die als direkter Reflex auf die Umwälzungen in Ägypten entstand, für großes Aufsehen, nicht nur am Theater Spektakel. Seither haben die beiden die künstlerische Auseinandersetzung mit den aktuellen Geschehnissen in Kairo in Form von dokumentarischen multimedialen Performances laufend fortgeschrieben. Im Rahmen der Short Pieces zeigen sie zwei Arbeiten: Ruud Gielens Solo «Liebesbrief», danach den ersten Teil der Performance-Serie «No Time for Art», in dem Laila Soliman gemeinsam mit dem Publikum nach Wegen sucht, die Erinnerung an die Märtyrer der ägyptischen Revolution wachzuhalten.

Aus den Niederlanden kamen Judith Nab & Au Bain Marie „Die große Reise, INSTALLATION FÜR KINDER“

Äusserlich steht er, innerlich fährt er: Der Bus aus Amsterdam, der auf der Festivalwiese Station macht, verfügt über ein fantastisches Innenleben, das er der Performancekünstlerin Judith Nab verdankt. Sie hat in einen großen Theaterbus einen ganz realistischen kleinen Bus gebaut, der die Kinder mitnimmt auf eine Reise um die Welt in 37 Minuten. Der Bus rüttelt und schüttelt, am Steuer sitzt ein gezeichneter Chauffeur und durch die Fenster sieht man die erstaunlichsten Dinge. Es gibt keine Plätze für Erwachsene.

Und noch einmal die Schweiz: Cirque de Loin mit “Mother’s Milk; A bloody gorgeous & unique show with crude firegirls as sexy namby pamby boys”

«Mother’s Milk» ist ein zirzensisches Konzert und erzählt in der Tradition eines archaisch-poetischen Straßenspektakels die Geschichte eines Clowns, der seit seiner Geburt ununterbrochen am Busen seiner Mutter hängt. Als diese stirbt, begibt er sich dürstend auf die Suche einer Frau, die ihn weiterhin nähren und stärken soll mit ihrer Milch. Doch er trifft nur auf Unverständnis und Ablehnung. Der Clown, ausser sich vor Wut und Verzweiflung, wird wahnsinnig und das unausweichliche Drama um Bedürftigkeit und Sehn-Sucht, um zu viel Mutterliebe und zu wenig Vatermilch, nimmt seinen Lauf…

«Mother’s Milk» ist eine Zusammenarbeit des Cirque de Loin mit zwei Größen der Schweizer Popszene, dem Bassisten Mich Gerber und Luk Zimmermann von der Gruppe Luni. Mit von der Partie ist die der Berner Straßenkünstlertruppe Sole Confuso, um die internationale Feuerperformerin Milena Gross als Zora Vipera.

Ungarn mit Béla Pintér & Tarsulata und dem Beitrag „Szutyok / Miststück“

Béla Pintér & Tarsulata; „Szutyok / Miststück“, Foto: Christian Altorfer

Ein Gespenst geht um in Europa, das auch auf Schweizer Titelseiten seinen Niederschlag findet. Die rechtsnationalen Kolonnen marschieren wieder und gewinnen Selbstvertrauen. In Ungarn, der Heimat des Theatermachers Béla Pintér, sind die unheimlichen Umwälzungen allgegenwärtig. Pintér und sein exzellentes Ensemble reagieren darauf mit einer bösen Farce. Ein Ehepaar vom Lande adoptiert mangels Kleinkindern zwei Teenager-Mädchen, das eine hässlich, das andere eine Roma, was im Bauerndorf für einige Unruhe sorgt. Zu den Schalmeiklängen einer Hirtenflöte brechen die mit Tradition und Folklore zugekleisterten Risse in der Dorfgemeinschaft auf. Das Fremde ist ein Miststück ? und in uns allen lebt eine Bestie.

 


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