Nach einer Pandemie-Zwangspause hatte Jolanta Sutowicz zum 12. Mal nach Kiel eingeladen. Ihr Ruf zur Teilnahme wurde in fern und nah erhört. Als ein Fest der Freunde wollte die Festivalchefin die diesjährige Ausgabe des THESPIS  Monodrama-Festivals verstanden wissen. Und so sah das Stücke-Treffen wie ein Wiedersehen alter Bekannter zumeist aus Deutschland und dem europäischen Umland aus.

 



Ein Feuerwerk der guten Unterhaltung lieferten diesmal Pip Utton (GB) und Despina Sarafeidou aus Athen ab.

Gleich einen Hattrick landete der Brite. Nach seinem grandiosen Auftritt als „Bacon“ und für einen Corona bedingten Ausfall eingesprungen mit „Shakespeare“ , war der vom Publikum gefeierte Darsteller nicht mehr zu halten. Die Festivalatmosphäre und das begeisterte Publikum veranlassten ihn zu einem weiteren Auftritt. Mit „Playing Maggie“, einem Stück über einen Schauspieler, der die Polikerin Margaret Thatcher hasst und der er doch viel zu verdanken hat, demonstrierte er sein Können als verwandlungsfähiger Monodrama-Darsteller.

In Nichts stand ihm die Griechin Despina Sarafeidou nach. Den Mythos neu zu erfinden ließ sie sich als „Kassandra“ von Sergio Blanco an, eine Figur „dazwischen“, eine sehr witzige Neufassung der mythischen Figur aus der antiken griechischen Tragödie, ein Monolog, der für Despina Sarafeidou gemacht zu sein schien.

Die „Stand-up-Tragödie“ spielte in einer Café-Bar, einem Pub. Und da war Kassandra, die auf Sex-Kunden wartete und über die Vergangenheit sprach (die Zerstörung Trojas, die Liebesaffäre mit Agamemnon, das wilde Morden von Klytaimnestra). Mythos und Gegenwart verschmolzen auf eine sehr seltsame, aber wunderbare Weise: Euripides und Bugs Bunny, Abba, Manchester United und Scarlett O‘Hara, Tragik und Humor, ein Monolog in gebrochenem, elementarem Englisch, voller Fehler. Diese Lösung verlieh jedem Wort gewaltige Ausdruckskraft. Als Transgender-Figur, die auf vielen Ebenen in einem „Dazwischen“-Zustand schwebte (d.h. Mythen-Realität, ethnische, sprachliche und auch sexuelle Identität), fühlte sich Kassandra fremd in einem Fremdkörper, verkaufte sich für Taschengeld. „Die Welt ist selten sonnig, aber wir sind Bugs Bunny!“

Die Festival-Knaller wurden erweitert durch den New Yorker Schauspieler David Calvitto, der noch einmal mit seinem international ausgezeichneten Stück „The Event“ nach Kiel zurückgekehrt war und gleich Autor John Clancy aus Chicago mitbrachte. Er gab eine One-Man-Show, das Theater, das Leben dekonstruierend, ein komischer, aber auch verwirrender Monolog über das, was uns die Bühne über unser Leben zu erzählen hat. Ein gelungenes und brillant erzähltes Monodrama, einfach und schlicht, in rasantem Tempo, das Calvitto noch überzeugend steigerte.

Als eine der prominentesten Gäste wurde die polnische Regisseurin Agnieszka Holland gefeiert. Sie stellte in Kiel ihren neuesten Film „Charlatan“ vor, ein historisches Filmdrama, das im Februar 2020 im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2020 seine Premiere feierte. Ihr in Deutschland wohl bekanntester Film „Hitlerjunge Salomon“ brachte ihr einen Golden Globe als bester fremdsprachiger Film sowie eine Oscar-Nominierung für das beste Drehbuch ein.

Mit dem 90 minütigen Eröffungsmonolog von Eric Vuillards Erzählung „Die Tagesordnung“ („L’ordre du jour“) wurde von Dominique Frot aus Frankreich ein weiteres Mal und unmissverständlich klar gemacht, dass sich die Bosse der deutschen Industrie 1933 von Hitler hatten einkaufen lassen und so mitschuldig geworden waren.

Dem Ruf folgten außerdem Casting-Direktor Piotr Bartuszek, Autor Remigiusz Grzela, Darsteller Marcin Bortkiewicz und Janusz Stokarsky (Polen), Aleksandras Rubinovas (Litauen), Martin Engler (Luxemburg) mit Emma Lily Karier (Österreich), Raafat Daboul (Syrien/D), Lidiya Danylchuk (Ukraine), Esther Heissenbüttel und Björn Högsdal, sowie Markus Dentler (D). Und last not least erinnerte Bea Ehlers-Kherbekian mit „Annes Schweigen“ an den Völkermord an Armeniern, der Verdrängung und den Möglichkeiten der Identitätsfindung in den Folgegenerationen auseinander.

Ein beeindruckendes Festival, das zum Nachdenken anregte und Lust auf mehr bereitete.


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